Die weiße Stadt am See – Zeltfestival Ruhr
Als gemeine(r) Dortmunder(in) kommt man beizeiten nicht umhin, etwa zwanzig Kilometer westwärts schauen zu müssen, um geniale Freizeitgelegenheiten zu entdecken. Das gilt zwar nicht unbedingt in Sachen Bundesliga-Fußball, doch ansonsten waren uns die Entscheidungsträger in Grönemeyer-Town immer wieder einmal eine Nasenlänge voraus. Der Musical Dauerbrenner ›Starlight-Express‹ oder auch ›Bochum Total‹ zeugten bereits in den 80-ger Jahren davon.
Gleiches gilt auch für das ›Zeltfestival Ruhr‹, das uns seit Sommer 2008 aufzeigt, wie man eine grandiose Zweieinhalb-Wochen-Open-Air-Party auf die Beine stellen kann.
Kurz zusammengefasst: 17 Tage, 42 Veranstaltungen, Top-Musiker und ebensolche Comedians, Fans aus aller Welt, größtes Open-Air-Restaurant des Ruhrgebiets, internationale Spezialitäten, coole Bars, Naschmarkt, internationales Kunsthandwerk und ein Paradies für Kiddies.
Ganz abgesehen von der besonderen Ausstattung, Optik und Atmosphäre des Zeltfestivals, wenn die Veranstalter des Mega-Events in den Ruhr-Auen des Kemnader Sees im Laufe der Jahre eines immer wieder unter Beweis gestellt haben, dann dies, dass sie ein exzellentes Gespür dafür haben, mit welchem Line-Up und vielfältigem Angebot sie die Besucher in Scharen anlocken und elektrisieren können. So auch in diesem Jahr!
Exemplarisch für dieses Statement auch der etwa 80-minütige Gig von Tokio Hotel am 24. August. Zwar lässt sich über Geschmack ja bekanntlich streiten, und irgendwie ist die ‚Kapelle‘ der Kaulitz-Brothers nicht unbedingt jedermanns Sache, doch was Tokio Hotel nicht nur bei den 2.000 Fans im ausverkauften Stadtwerkezelt selbst, sondern auch bei jenen davor, die kein Ticket hatten ergattern können, auslöste, dafür wurde einst der Begriff ›Mania‹ erfunden. Die Rede ist von orkanartigem Kreischen gepaart mit Ohnmachtsanfällen einer fast ausschließlich weiblichen Fanbase im Alter zwischen Teenie und Mitte-Dreißig. Anders als ihre ursprünglich deutschsprachigen Erfolge sind die inzwischen englischsprachigen Produktionen musikalisch zwar durchaus solide, gehören aber nicht ins obere Regal. Dass dennoch tränenüberströmte Mädels in Kreisch-Attacken verfielen, findet wie schon zu ‚Monsun-Zeiten‘ in dem, die Bühne für sich reklamierenden Bill Kaulitz, seinen Ursprung. Für seine Bling-Bling-Outfits, die der Frontman von Tokio Hotel unentwegt wechselte, scheinen Garry Glitter und die Glitzer-Rocker von Kiss Pate gestanden zu haben.
Nicht minder treffsicher haben sich die Veranstalter erwiesen, als sie bereits wenige Tage nach dem 2022-Festival die neuerliche Verpflichtung der Sportfreunde Stiller verkündeten, die am ersten Tag des diesjährigen Events den musikalischen Startschuss gaben und – wie könnte es anders sein – in einem ausverkauften Zelt spielten. Bereits im Vorfeld hatten sie angekündigt »Wir spielen wieder! Und wir spielen weiter… Wir haben Lunte gerochen… Kurzum: Wir haben unfassbar Bock.« Und genau das war ihnen anzumerken! Mit einer Menge bekannter Hits im Gepäck gekommen, performten sie aber auch Songs aus ihrem neuen Album ›Jeder nur ein X‹, das allerdings erst am 11.11.2023 erscheint. Ergo waren die Songs für Teile des Publikums noch absolutes Neuland, was der Stimmung aber dennoch keinen Abbruch tat.
Last but not least noch ein Statement zu den Indie-Rockern von Mando Diao, das sich eigentlich mit einem einzigen Wort zum Ausdruck bringen ließe: Abgeliefert!!! Die Stimmung war von Sekunde eins an bis hin zum letzten Ton einfach nur on top. Feiern pur, eine gelungene Mischung aus alten und neuen Songs. Auch die Titel aus ihrem neuen Album ›Boblikov’s Magical World‹, die etwas in die Rock ’n‚ Roll–Richtung gehen, kamen beim Publikum sehr gut an. Frontmann Björn Dixgård animierte mit seiner Performance gut 90 Minuten immer wieder zu eskalieren. Mit einer Long-Version von ›Dance with Somebody‹ zum Ende des Abends rastete das Zelt dann endgültig vollends aus.
Eine sensationelle Auftaktwoche mit genau dem Wetter, das das Spätsommerfestivals eigentlich an allen 17 Tagen verdient hätte, bescherte den Veranstaltern gut 60.000 Besucher. Einziger Wermutstropfen in der zurecht gefeierten weißen Zeltstadt war lediglich die Wetterprognose, für das Restprogramm bis zum 3. September. Petrus geht offensichtlich gerne ‚durch den Monsun‘