ANGST ESSEN SEELE AUF
„Angst besiegt weit mehr Menschen als irgendetwas anderes auf der Welt.“
Ralph Waldo Emerson
Das pessimistische Erbe
Rein theoretisch erscheint es so einfach, sein Leben umzukrempeln und endlich ein Dasein ganz nach dem eigenen Gusto zu führen. Wie sehr sich die meisten von uns genau das wünschen, zeigt nicht zuletzt die Flut der guten Vorsätze, mit der wir in ein neues Jahr starten. Schwierig wird es jedoch, sobald es an die Umsetzung geht. Dass so viele schnell wieder in alte Muster verfallen und ihre Vorhaben auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, findet seinen Ursprung oftmals in einer viel zu unausgegoren und unkonkreten Definition der Ziele.
Weitaus ursächlicher für das Scheitern unserer Absichten ist allerdings unsere Geisteshaltung. Dass sie von Natur aus zunächst negativ ausgerichtet ist, ist absichtlich so in unseren ererbten Merkmalen angelegt. Denn seit jeher gehört es zum menschlichen Überlebensprogramm, zuerst mögliche Gefahren zu erkennen. Nur dadurch gelang es Homo sapiens, seine Art zu erhalten. Sein erster Blick, wenn er die Höhle verließ, galt einer möglichen Bedrohung beispielsweise durch wilde Tiere oder die Mitglieder einer rivalisierenden Horde. Angst und damit einhergehende körperliche Reaktionen sind also Teil unserer Natur und haben zunächst einmal rein gar nichts mit positivem oder negativen Denken zu tun.
„Das Leben beginnt dort, wo die Angst endet.“
Osho
Selbst der erste Blick des größten Optimisten, wenn er an einem trüben Novembermorgen erwacht, fällt auf den tiefgrauen, wolkenverhangenen Himmel. Aber er widersteht dem Impuls, dieses ‚ungemütliche‘ Wetter zu verteufeln und damit gleich eine erste mentale Hürde zu erschaffen. Stattdessen ist er dankbar, diesen neuen Tag erleben zu dürfen und richtet den Blick auf die Möglichkeiten, die selbiger ihm bietet. „Gib jedem Tag die Chance, der schönste Deines Lebens zu werden.“ So hat einst Mark Twain, geistiger Vater des Waisenjungen Tom Sawyer, die Option beschrieben, täglich den Geist bewusst so aufzustellen, damit er Gelegenheiten anstelle von Hindernissen erkennt. Für gewöhnlich lassen wir ach so viel Sorgfalt walten, wenn es um die Auswahl unserer Kleidung geht. Warum tun wir das eigentlich nicht auch bei der Wahl unserer Gedanken?
»Aber wie soll das gehen?«, fragen nun die von Angst geleiteten Pessimisten, die sich – statistisch gesehen – übrigens klar in der Überzahl befinden. Laut einer Umfrage glaubten zu Jahresbeginn 2023 gerade einmal 15 Prozent der Deutschen, dass es ihnen und ihren Familie binnen der nächsten fünf Jahre besser gehen werde.
Furcht oder Angst
„Nicht die Dinge beunruhigen die Menschen, sondern ihre Gedanken über die Dinge.“
Epiktet
Auch wenn uns Angst nach wie vor als Warnmechanismus dient, sie uns alarmiert und davor schützt, dass wir uns unvorbereitet in Gefahr begeben, so macht sie uns dennoch krank, sobald wir ihr einen zu großen Raum in unserem Leben einräumen. Nicht umsonst unterscheidet die Psychologie zwischen einer gesunden Angst – der Angst als Zustand – und einer weiteren, allerdings schädlichen Angstform, der Angst als Eigenschaft. Während erstere die Furcht vor einer realen, äußeren Gefahr ist, versteht man unter der sogenannten ›Eigenschaftsangst‹ quasi eine permanent ängstliche Sichtweise auf die Dinge.
„Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor“, hat es ein gewisser Frank Thiess einmal ausgedrückt.
Sofern Angst – oder richtiger Furcht – als Teil eines von der Natur eingerichteten Notfallplans zum Einsatz kommt, handelt es sich dabei um eine gesunde und überlebensnotwendige Anpassungsreaktionen, die hilft, mit jedem bedrohlichen Stimulus körperlich und mental immer besser umzugehen. Schaltstelle ist dabei das Gehirn. Blitzschnell analysiert es die Sinnesreize und veranlasst gegebenenfalls die Ausschüttung von Stresshormonen, die ihrerseits körperliche Prozesse auslösen, die uns optimal auf Kampf oder Flucht vorbereiten und einstellen. So erhöht sich die Schlagkraft des Herzmuskels, Blutdruck und Atemfrequenz steigen und der Stoffwechsel wird aktiviert. Erhöhte Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sind der Effekt.
Und weil unser ›Oberstübchen‹ seit mehr als100.000 Jahren kein Upgrade erhalten hat, reagieren wir auch heute noch genau so, wie es einst unsere Urahnen taten, selbst wenn die Umstände, unter denen wir in der westlichen Welt inzwischen leben, vollkommen andere sind.
Körper und Geist benötigen allerdings auch immer wieder eine Erholungsphase, die sich normalerweise dann einstellt, wenn eine Gefahr vorübergegangen ist und das Gehirn deshalb veranlasst wird, die Stresshormone wieder zurückzufahren. Doch genau hier befindet sich die Crux! Denn obwohl wir – anders als unsere Vorfahren – lebensbedrohliche Situationen kaum noch durchleben müssen, beschert uns eine immer hektischere Welt eine Flut von Nachrichten, die viele gedanklich derart negativ und bedrohlich einstufen, dass sie in einen geradezu chronischen Angstzustand verfallen. Sie lassen sich von den Geschehnissen hinunterziehen, grübeln und denken sich quasi in eine nicht enden wollende Dauerangst. Die Folge: im Körper zirkulieren unentwegt Stresshormone, so dass die Erholungsphasen, die der Organismus dringend benötigt, viel zu kurz sind oder schlimmstenfalls ganz wegfallen. Und eben dies hat erhebliche Auswirkungen auf Denkvermögen wie auch auf die körperliche Gesundheit.